Herzkrank hinterm Steuer: Kenntnis möglicher Ausfallerscheinungen spricht im Ernstfall gegen komplette Schuldunfähigkeit

Der folgende Fall schlug bundesweit hohe Wellen: Mitten im Herzen Berlins hatte ein 84-Jähriger mit seinem Fahrzeug einen schweren Verkehrsunfall verursacht und dabei eine belgische Touristin und ihr vierjähriges Kind getötet sowie mehrere Personen verletzt. Nun war es am Amtsgericht Berlin-Tiergarten (AG), den Fall so nüchtern wie möglich auf die Frage zu prüfen, welche Schuld dem Fahrer tatsächlich zuzumessen war.

An dem Fall war nahezu alles spektakulär: Der Unfallverursacher war ein alter Mann, der mit 90 statt 30 km/h in Berlin-Mitte an einer Verkehrsstockung vorbeizufahren versuchte und dabei eine Frau und ihr Kind überfuhr. Diesem Unfall mussten nicht nur zahlreiche Fremde beiwohnen, sondern vor allem auch der Kindesvater, der seitdem schwer traumatisiert und nicht mehr arbeitsfähig ist. Der Beklagte, ein ehemaliger Berufskraftfahrer, warf seinerseits ein, zum Zeitpunkt des Unfalls einen Herzanfall erlitten zu haben, als er auf dem Weg war, zum ersten Mal die Grabstelle seiner vor acht Monaten verstorbenen Frau zu besuchen. Die für den Tod der Gattin ursächliche Krebserkrankung sei 2023 auch der Grund gewesen, sich trotz einer festgestellten Herzrhythmusstörung vorerst keinen Schrittmacher einsetzen zu lassen.

Das AG hat den Autofahrer der fahrlässigen Tötung in zwei Fällen, des fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sowie der mehrfachen fahrlässigen Körperverletzung schuldig gesprochen und gegen ihn eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der wesentliche Schuldvorwurf bestand darin, dass der Angeklagte in sein Fahrzeug gestiegen war, obwohl er gewusst hatte, dass er an einer Erkrankung leidet, die jederzeit zu körperlichen Ausfallerscheinungen führen kann. Diese Entscheidung habe schlussendlich zum Tod von zwei Menschen geführt.

Hinweis: Das Gericht ging zwar beim Unfall selbst von Schuldunfähigkeit wegen eines akuten Herzanfalls aus, der Schuldvorwurf ergab sich aber aus dem Fahrtantritt mit dem Wissen um mögliche krankheitsbedingte Ausfallerscheinungen.


Quelle: AG Berlin-Tiergarten, Urt. v. 27.06.2025 - 212 Ls 1/25
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 09/2025)